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Cyrano de Bergerac

Versdrama in fünf Akten von Edmond Rostand

Übersetzung von Ludwig Fulda

Überarbeitung von Oliver Schürmann

Aufführungen am 23., 26. und 28. Mai 1997
in der Aula der Geschwister-Scholl-Realschule,
Essen

Der Held mit der langen Nase, der geistreichen Sprache, der schneidenden Zunge, der schüchternen Seele. Jene Verskomödie Edmond Rostands, spielend zu Beginn des 17. Jahrhunderts, die vor einhundert Jahren am „Theatre de la Porte Saint Martin“ ihre Uraufführung feierte und – als in der Gesinnung nobles Werk – in alle Weltsprachen übersetzt wurde, rief der Zeitgeist des „TheaterLaien“ ins Leben zurück. Eine Geschichte, die das Leben schrieb und auch heute noch schreibt. Eine Legende für jene Menschen, die den eigenen Weg zu gehen suchen, den anderen zu verstehen, auch wenn er noch jung und aggressiv oder schon alt und müde ist. Lassen Sie sich entführen in eine Welt der Abenteuer und der Poesie, in eine Zeit, in der die Ideale und Werte nicht nur angepriesen, sondern noch gefüllt waren mit Leben …

Inhalt

Prolog – Wahrwerdung einer Geschichte

Cyrano Savinien Hercules de Bergerac, am 6. März 1619 zu Paris geboren, ist seit der Jugend eng mit Le Bret befreundet. Beide dienen seit 1638 bei den Gascogner Kadetten, der Kompanie des Hauptmann Castel-Jaloux. Wir schreiben nun das Jahr 1640 und befinden uns im Saale des Hotels de Bourgogne, in dem Montfleury, ein dem Cyrano sehr verhasster Schauspieler, antritt, eine seiner Rollen zu spielen. Cyrano verbietet ihm jedoch den Auftritt und durch Cyranos Art bliebt dem Schauspieler keine andere Möglichkeit, als sich zurückzuziehen – trotz des Protestes von Seiten des Parterres. Erster Akt – Eine Vorstellung im Hotel de Bourgogne Das verärgerte Publikum fordert eine Erklärung, doch das stört Cyrano nicht, als ein Zuschauer dann eine Bemerkung über Cyranos lange Nase macht, verspottet er diesen und schickt ihn weg, mit der Androhung, jede Bemerkung über seine Nase würde mit dem Tod bestraft. Dies muss bald auch Valvert, Verlobter von Cyranos Base Roxane, erfahren, der Cyrano herausfordert und sowohl verbal als auch im Degenduell verliert. Durch den plötzlichen Tod des Nebenbuhlers fühlt sich der einflussreiche Graf Guiche ermutigt, das Herz Roxanes zu erobern. Doch auch Cyrano ist in Roxane verliebt, traut sich aufgrund seines abschreckenden Äußeren jedoch nicht, sie anzusprechen. Als ihm jedoch Roxanes Begleiterin berichtet, dass sie sich mit ihrem Vetter treffen will, ist Cyrano außer sich vor Freude.

Zweiter Akt – Die Garküche der Poeten

Im Laden Ragueneaus, eines befreundeten Bäckers, findet das Treffen zwischen Roxane und Cyrano statt. Doch bevor Roxane erscheint, beschleichen Cyrano erneute Zweifel. Er beschließt, einen Brief über seine Gefühle zu schreiben und diesen seiner Geliebten zu übergeben. Doch als Roxane erscheint, berichtet sie Cyrano, dass sie sich ihrerseits verliebt hat, in einen Mann namens Christian de Neuviellette, der seit heute in Cyranos Corps dient. Cyrano lässt sich von Roxane das Versprechen abringen, dass er Christian beschützt und diesem wie ein Bruder ist, und übergibt Roxane seinen Brief nicht. Noch von diesem Ereignis überwältigt treten Cyranos Kadetten auf, die ihren Helden feiern wollen, der in der Nacht gegen 100 Feinde erfolgreich gekämpft hat. Doch Cyrano ist nicht zum Feiern zumute und stößt auch Graf Guiche vor den Kopf, der ihm anbietet, seine Dichtungen dem mächtigen Richelieu zu präsentieren. Als er schließlich doch noch von seinem Heldenstreich berichtet, wird er von Christian diffamiert. Unter vier Augen erklärt Cyrano Christian, dass Roxane in ihn verliebt ist, doch Christian sagt nur, dass er „als blöder Wicht“ vor den Frauen verstummt, da er nie „schön über Liebe“ sprechen konnte. Cyrano will Christian helfen und gibt ihm seinen Brief, den er angeblich an eine imaginäre Frau geschrieben hat. Damit soll Christian Roxanes Herz erobern.

Dritter Akt – Der Kuss Roxanes

Roxane ist schlichtweg begeistert von Christians/Cyranos Briefen und will sich nun endlich mit Christian treffen, der bisher jeder Begegnung aus dem Weg ging. Cyrano soll nun ein Treffen arrangieren. Graf Guiche, zum Oberst ernannt, will sich vor seiner Abreise in den Krieg gegen Spanien noch von Roxane verabschieden. Diese überredet den Grafen mit weiblicher List, dass Cyranos Corps – und damit Christian – nicht mit in den Krieg ziehen müssen. Christian hat es inzwischen satt, stets nur mit Cyranos Worten zu sprechen und erklärt sich in seiner eigenen Weise Roxane – sehr zu deren Missfallen. Am Abend unter Roxanes Balkon versucht Cyrano in Christians Beisein und unter dessen Namen diesen Fauxpas wieder auszugleichen und erobert Roxanes Herz und ringt ihr auf Christians Drängen einen Kuss ab, den Christian auf dem Balkon von Roxane erhält, während Cyrano sich schmachtend hinter einem Baum versteckt. Da erscheint ein Mönch, der Roxane einen Brief von Graf Guiche übergibt. Dieser hält sich in einem nahegelegenen Kloster versteckt und will in Kürze auftauchen, um die Nacht mit Roxane zu verbringen. Doch Roxane gibt an, dass in dem Brief steht, der Graf bestehe darauf, dass sie und Christian unverzüglich heiraten sollen und der Mönch die Trauung vollziehen soll. Cyrano soll indessen den Grafen aufhalten, was dieser auch mit viel Phantasie schafft. Als Graf Guiche erkennt, dass Roxane und Christian vermählt sind, schickt er den Corps ebenfalls unverzüglich in den Krieg und Roxane ringt Cyrano noch gerade das Versprechen ab, dass Christian ihr täglich einen Brief schreibt.

Vierter Akt – Die Gascogner Kadetten

Die Kadetten um Cyrano und Christian sind eingeschlossen und abgemagert. Dennoch gelingt es Cyrano zweimal täglich ohne Christians Wissen einen Brief an Roxane zu schreiben und diesen hinter die feindlichen Linien zu bringen. Um sich aus der misslichen Lage zu befreien, hat Graf Guiche einen Plan ausgearbeitet: Die Gascogner Kadetten sollen sich alleine dem Feind stellen, damit die restlichen Truppen Proviant erkämpfen können. Während Christian Roxane nachtrauert, zeigt Cyrano ihm einen Brief, den er zum Abschied an Roxane verfasst hat. Da taucht plötzlich ein Wagen auf – es ist Roxane, die Proviant mitgebracht hat. Als Christian sie fragt, warum sie die Gefahr auf sich genommen hat und in das Kriegsgebiet gefahren ist, erzählt sie von den vielen, vielen Briefen, die sie erhalten hat. Christian stellt Cyrano zur Sprache und erkennt, dass er ebenfalls in Roxane verliebt ist und diese auch Cyrano – nicht Christian – liebt. Christian besteht darauf, dass Cyrano Roxane die Wahrheit erzählt und begibt sich an die Front. Doch bevor Cyrano Roxane seine Liebe gestehen kann, wird der tödlich getroffene Christian herbeigetragen. Roxane findet bei ihm Cyranos Brief und dieser beschließt, die Wahrheit bei sich zu behalten.

Fünfter Akt – Cyranos Wochenchronik

Fünfzehn Jahre sind vergangen. Roxane hat sich in ein Kloster zurückgezogen und Cyrano besucht sie als guter Freund jede Woche und berichtet ihr von den Neuigkeiten. Christians Tod hat Roxane noch immer nicht überwunden und trägt immer noch seinen letzten Brief bei sich. Cyrano macht sich durch seine Art immer neue Feinde und tatsächlich wird er in einen Hinterhalt gelockt und von einem herabfallenden Holzbalken schwer verletzt. Mit letzter Kraft kann er sich ins Kloster schleppen und verbirgt vor Roxane seinen Zustand, soweit es ihm möglich ist. Er bittet sie, Christians Brief lesen zu dürfen. Als Cyrano den Brief laut vorließt, erkennt Roxane, dass Cyrano diesen und alle anderen Briefe verfasst hat und sie in Wirklichkeit ihn liebt. Doch Cyrano kann diesen späten Triumph nicht mehr genießen. Er stirbt.

Thomas Krieger

Fotos

Besetzung

INSZENIERUNG UND BÜHNENBILDOliver Schürmann
GESAMTLEITUNGJörg Weitkowitz
  
CYRANO de BergeracMarc Weitkowitz
LE BRET, sein FreundJörg Weitkowitz
ROXANE, Cyranos BaseFrauke Krüger
Ihre DUENNARamona Mohr
Graf GUICHEThomas Krieger
CHRISTIAN de NeuvilletteBjörn Huestege
RAGUENEAU, BäckerMarc Hurlebusch
LISE, seine FrauClaudia Rupp
Hauptmann CASTEL-JALOUXOliver Schürmann
LIGNIÈREAlexander Knauer
BERTRANDOU, der MusikerGerald Angstmann
Weitere KADETTENAndré Remy, Claudia Rupp
CUIGYRené Böminghaus
MISSVERGNÜGTERAndré Remy
VALVERT, EdelmannOliver Schürmann
BÜFFETDAMEAntonia Metken
KÖCHEJörg Weitkowitz, Alexander Knauer, André Remy
LEHRJUNGEThomas Krieger
KINDERThomas Chrosch, Martin Kiewit
POETENJörg Weitkowitz, Alexander Knauer, Thomas Krieger
Pater OCTOPUS, KapuzinerOliver Schürmann
Mutter MARGUERITERamona Mohr
Schwester MARTHEClaudia Rupp
Schwester CLAIREAntonia Metken
MONTFLEURY, SchauspielerSimone Horoba
  
VIOLINEGerald Angstmann
  
BELEUCHTUNGDennis Kasten
MASKESabine Prause, Lisa Breitkreuz, Mareike Dannenberg
BAUTEN UND REQUISITENJörg Weitkowitz, Marc Weitkowitz
MALEREIENAntonia Metken, Ramona Mohr, Claudia Rupp
KOSTÜMEGisela Rosenblatt, Hannelore Weitkowitz
CO-REGIEThomas Krieger
FECHTSZENEKlaus Figge
SOUFFLEUSEClaudia Rupp, Simone Horoba
GARDEROBE UND GETRÄNKEVERKAUFTanja Beyersdorf, Martin Callies, Heike Rupp
ABENDKASSEAndrea Werft

Autor

Edmond Rostand

Edmond Rostand stammte aus einer wohlhabenden Familie Marseilles und kam dort am 1. April 1868 als Sohn eines Soziologen und Journalisten zur Welt. Im College Stanislas in Paris genoss er seine Erziehung, heiratete früh seine ebenfalls als Schriftstellerin tätige Frau Rosamonde Gerard (1871 – 1953) und schrieb als kaum zwanzigjähriger für sich selbst, seine Gattin und wenige Freunde eine Liebhabertheater-Komödie. Bereits 1888 wurde „Der rote Handschuh“ in Paris uraufgeführt, 1890 veröffentlichte er recht unbeachtet die „Maulaufferei“. Im Jahre 1894 folgten „Die Romantischen“, 1895 „Die ferne Fürstin“ und 1896 „Die Sameriterin“.

Vor nahe einhundert Jahren, 1897 präsentierte er die Uraufführung des Welterfolges „Cyrano de Bergerac“, 1899 (dt.) „Das Weib von Samaria“ und 1900 folgte das Drama „Der junge Adier“. Am 30. Mai 1901 wählte die „Akademie Francaise“ den damals dreiunddreißig­jährigen Dichter zu ihrem Mitglied, das jüngste, das das ehrwürdige Institut in seiner 350 jährigen Geschichte je beses­sen hat. Erst im Jahre 1910 folgte noch einmal eine Komödie, „Der Hahn“.

Die Werke des Dramatikers zeichneten sich durch Romantische Überschwänglichkeit und geschliffene Wortkunst aus. Im nationalen Enthusiasmus des Kriegs­ausbruches meldete sich Rostand, damals 47jährig, freiwillig zum Wehr­dienst, wird aber nicht angenommen; er widmet sich der Abfassung nationalisti­scher Lyrik, arbeitet an einem neuen Stück, ohne es vollenden zu können, denn er stirbt bereits am 2. Dezember 1918 mit 51 Jahren in Paris.

Cyrano de Bergerac aber ist sein größter Erfolg und sein Meisterwerk geblieben.

Marc Weitkowitz

Aus dem Programmheft

Foyer

Liebe Zuschauerschaft!

Es ist soweit. Nach beinahe neun Monaten Probenarbeit können wir Ihnen heute abend den Theaterklassiker „Cyrano de Bergerac“ von Edmond Rostand, einhundert Jahre nach seiner Uraufführung, hier in Borbeck präsentieren. Es ist gleichzeitig das erste Stück des neugegründeten „Theater Laien“. Die Darsteller sind jedoch zum Großteil schon aus vorangegangen Projekten dem Publikum bekannt, wurden doch seit 1991 regelmäßig Opern-, Musical- und Theateraufführungen in den Aulen der Geschwister-Scholl-Realschule und des Mädchengymnasiums aufgeführt.

Während Sie nun erwartungsvoll den Dingen entgegenblicken, die da kommen mögen, werden hinter dem Vorhang noch die letzten Requisiten verteilt, noch einmal letzte Hand an die Maske gelegt und vielleicht noch der ein oder andere verstohlene Blick ins Textbuch geworfen. Möglicherweise sitzt auch mancher still in seiner Ecke und blickt noch einmal zurück auf die vorangegangene Zeit; vom Aussuchen des neuen Stückes, über das Besetzen der einzelnen Rollen (welches teilweise noch bis wenige Wochen vor der Aufführung durchgeführt wurde), die ersten Bühnenproben, das Entwerfen und Schneidern der Kostüme, die Gestaltung und Herstellung des Büh­nenbildes, das Lernen des Textes, das Probenwochenende, das Herstellen der Requi­siten, die Fotos und Artikel für das Programmheft, die Darstellung der Fechtszene, die Beleuchtung, Schminke, den Kartenvorverkauf bis hin zur Garderobe, Getränkever­kauf und und und…

All dieses erfordert das Engagement und die Freude an der Sache der einzelnen Beteiligten, und ich möchte mich an dieser Stelle bei all denjenigen bedanken, die an diesem Stück beteiligt sind und ihren Teil zum Gelingen der Vorführung geleistet haben. Ebenso möchte ich mich bei Ihnen bedanken, weil Sie gekommen sind, um sich das Ergebnis unserer Arbeit anzusehen und weil Sie mit Ihrem Applaus die Früch­te dieser Arbeit sind! Herzlichen Dank!

Thomas Krieger

Minderwertigkeit und Askese

Gedanken zu Cyranos Psyche

Der folgende Versuch, Cyranos Innenle­ben etwas näher zu beleuchten, mag zunächst auf den Leser etwas befremd­lich wirken, da sich gerade ein solch hei­kles Thema selten in Programmheften zu Amateur-Theateraufführungen findet. Vermutlich wird nicht jeder Leser gleich beim ersten Lesen des Textes dessen Inhalt sofort erfassen können. So kann ich nur empfehlen, ihn notfalls mehrmals in Ruhe und langsam zu lesen. Dann wird sich das Dunkel allmählich erhellen, und der Leser bekommt so eine differenzier­tere Sicht in Bezug auf die Titelfigur unse­res Schauspiels.

Es ist bekannt und eigentlich überflüssig zu erwähnen, worin sich Cyrano rein äußerlich von den anderen handelnden Personen unterscheidet: Er verfügt über ein übergroßes Riechorgan.

Diese körperliche Fehlbildung schlägt sich auch ganz offensichtlich in seiner Psyche, Seele oder Innenwelt nieder. Man kann hier – ohne zu zögern – von einem echten Minderwertigkeitskomplex sprechen. Minderwertigkeitsgefühle und – im Extremfall – Minderwertigkeitskom­plexe streben danach, sich in irgendeiner Form auszugleichen. Bei Cyrano geschieht das sogar auf zwei verschiede­ne Arten. Zunächst setzt er seiner sich selbst zugeschriebenen Hässlichkeit sei­nen scharfen Verstand und seine Elo­quenz, seine Redekunst entgegen. Ferner aber auch eine Aggressivität, eine Kampflust sondergleichen, die sich nicht nur in Worten, sondern auch in Taten ausdrückt. Man denke nur an Valverts Ermordung durch Cyrano.

Er behält seinen Gegnern gegenüber, die er sich selbst schafft, immer einen klaren Kopf, ist ihnen geistig überlegen und nutzt diese Überlegenheit bisweilen aus, was sich dann an mancher Stelle des Stücks als Arroganz äußert. Solche Aggressionen, seien sie rein verbal oder auch körperlich, sind nach außen gerich­tete, also extravertierte Handlungen. Cyrano richtet aber Aggressionen auch gegen sich selbst, indem er sich, sich selbst gegenüber, wegen seiner eingere­deten Hässlichkeit als minderwertig dar­stellt. Er räumt seiner Nase einen viel zu großen Stellenwert ein. Er steht sich selbst im Wege, denn er glaubt, diese Hässlichkeit würde ihm die Frauen – im Stück natürlich besonders Roxane – ver­graulen. Cyranos ganze Melancholie, die sich in seinen Äußerungen gegenüber Roxane und Le Bret am deutlichsten zeigt, da er sich diesen beiden gegenüber nicht die Maske des Kämpferischen, Streitsuchenden aufsetzt, ist nichts ande­res als gegen sich selbst gerichtete Aggression und somit Selbstzerstörung. Ein Satz wie „Gehasst sein ist mein Glück“ spricht Bände. Interessant ist in diesem Zusammenhang die Tatsache, dass Cyra­no jeglicher körperlichen Bedürfnisse entsagt. Wie oft wird im Stück, in den Ragueneau-Szenen zum Beispiel, geges­sen. Immer lehnt Cyrano es ab, zu essen. Man muss sich nur vor Augen führen, wie gereizt er gegenüber Ragueneau auf die Vollfress-Aktionen der Poeten reagiert. Seine Askese ist Selbstzerstörung, denn er glaubt, dass die Minderwertigkeitsge­fühle nachlassen, wenn er seine Körper quält. Eine sinnvolle Deutung der Askese, allerdings nicht speziell auf Cyrano de Bergerac bezogen, bringt Roland Barthes in seinem Buch Fragmente einer Sprache der Liebe, Frankfurt am Main 1988, erschienen im Suhrkamp-Verlag. Es heißt da: „ASKESE. Sei es, dass das liebende Subjekt sich dem Liebesobjekt gegenü­ber schuldig fühlt, sei es, dass es ihm Ein­druck machen will, indem es ihm sein Unglück vor Augen führt: es erlegt sich ein asketisches Selbstbestrafungsgebaren auf (Regelung des Tagesablaufs, der Klei­dung usw.). 1. Da ich an diesem und jenem schuld bin (ich habe, ich rede mir tausend Gründe ein, es zu sein), werde ich mich bestrafen, werde ich meinen Körper verschandeln […]. Eine sanfte Weltflucht wird das sein; gerade soviel Weltflucht, wie zum ordentlichen Funk­tionieren einer diskreten Pathetik erforderlich ist. Die Askese […] wendet sich an den Anderen: dreh dich um, schau mich an, sieh, was du aus mir gemacht hast! Sie ist Erpressung: ich führe ange­sichts des Anderen die Figur meines eigenen Verschwindens vor, zu dem es mit Sicherheit kommen wird, wenn er nicht nachgibt (wem?).“

Diese Äußerungen lassen sich durchaus auch auf Cyrano beziehen und auf seine Beziehung zur Umwelt. Hat er nicht die Möglichkeit, seine eigene, eingebildete Minderwertigkeit auf andere zu übertra­gen, richtet er die Aggression gegen sich selbst. Im Grunde bedeutet die oben beschriebene Arroganz Cyranos nichts anderes, als dass er sich über andere erhebt, sie herabsetzt und im Fall von Val­vert als minderwertig deklariert, um seine eigene eingeredete Minderwertig­keit zu überspielen. Cyrano setzt sich im übertragenen Sinn Masken auf. Den wah­ren, unmaskierten Cyrano erlebt man nur in der großen Balkon-Szene im dritten Akt. Interessanterweise spielt die Szene im Schutz der Dunkelheit, und Cyrano spricht nicht als er selbst, sondern als Christian, dessen Hut er sich zur Tarnung geliehen hat. Also doch eine Maskierung, aber eine rein äußerliche. Die Gedanken, die er formuliert sind jedoch ehrlich. Eine fast vollständige Ehrlichkeit zeigt er allen­falls seinem Freund Le Bret gegenüber.

Man kann sich fragen: Warum eigentlich dieser enorme Minderwertigkeitskom­plex wegen seiner Nase? Ich glaube, der Grund ist ein falsch verstandener Männ­lichkeitsbegriff, der nicht nur Cyranos Verhalten bestimmt, sondern auch das der anderen beiden Werber um Roxane: Christian de Neuvillette und Graf Guiche. Diese Beiden stehen sich mit ihrer Auf­fassung von Männlichkeit genauso selbst im Wege wie Cyrano. Der eine glaubt, die Schönheit führe zum Ziel, der andere glaubt, er könne mit gesellschaftlicher und politischer Macht beeindrucken. Alle drei scheitern auf ganzer Linie, woran Roxane in ihrer Naivität und ihrem tota­len Glücksanspruch nur sekundär die Schuld trägt.

Wer sich im Nachhinein näher mit Cyra­no de Bergerac beschäftigen will, dem empfehle ich einen Aufsatz von Konrad und Elise Harrer, der als Nachwort zur original französischen Ausgabe des Stückes bei Reclam erschienen ist.

Björn Huestege

Zitate aus der Probenarbeit

Oliver Schürmann:
„Es ist eine Augenweide, dir zuzuhören.“

Presse

Langnasiger Haudegen lieferte geistreiche Wortgefechte

„Theater Laien“ mit Cyrano de Bergerac in Geschwister-Scholl

„Ein gelungener Abend“, lautete die einhellige Meinung der etwa 180 Besucher, die in die Aula der Ge­schwister-Scholl-Realschule ge­kommen waren, um die Verskomö­die „Cyrano de Bergerac“ von Ed­mond Rostand zu sehen. Das „Theater Laien“ hatte – in einer Überarbeitung von Oliver Schür­mann – das Stück aufgeführt.

Geradezu phantastisch, welche Ausdruckskraft der Hauptdarstel­ler, Marc Weitkowitz, dem Cyrano de Bergerac zu verleihen wußte; ge­radeso, als ob er sich mit diesem tragikomischen Helden identifi­ziert habe. Mehr noch: Das Publi­kum selbst vermochte er anzuspre­chen.

Die Aufführung hält sich nicht sklavisch an die Vorgaben von Ed­mond Rostand. Vielmehr wird bei­spielsweise der erste Akt erheblich gekürzt, ohne daß dadurch aller­dings etwas von der Vielfalt und der Tragikomik, insbesondere der ungeheuren Wortklauberei, verlo­rengeht.

Interessant ist schon die Einfüh­rung: ein leerer Stuhl, darauf ein verstaubtes Buch, daneben ein sechsarmiger Kerzenleuchter. Zu ruhigen Weisen auf der Geige wird gleichsam ein Prolog gelesen, der den Zuschauer in das Stück, die Zeit und die Person des Cyrano de Bergerac (1619-1655) einführt. Schließlich handelt es sich bei dem Stück um die Lebensgeschichte des Gascogner Dichters, Philosophen, Soldaten, Haudegens und Phanta­sten.

Er war bekannt geworden so­wohl durch sein abenteuerliches Leben und seine kuriose Erschei­nung – eben der überlangen Nase – als auch durch seine „Reiseberich­te“ von den „Reichen des Mondes und der Sonne“. Edmond Rostand machte aus dem Leben dieses au­ßergewöhnlichen Menschen eine romantische Komödie, eingebettet in das bunte Treiben des Pariser Lebens im 17. Jahrhundert.

Der häßliche, aber liebevoll-geistreiche Cyrano (Marc Weitko­witz) verliebt sich in seine schöne Cousine Roxane (Frauke Krüger). Diese hat sich jedoch in einen an­deren verliebt, den schönen, aber dummen Christian (Björn Hueste­ge), und bittet Cyrano, diesen unter seine Obhut zu nehmen. Christian wendet sich nun an Cyrano, er solle für ihn Liebesbriefe an Roxane schreiben, was Cyrano auch tut. Mehr noch: Im Schutz der Dunkel­heit verleiht er Christian seine Sprache für eine Liebeserklärung an Roxane.

Aber es gibt noch einen dritten Rivalen, der ebenfalls um die Gunst Roxanes wirbt, der Haupt­mann Carbon von Castel-Jaloux (Oliver Schürmann). Er komman­diert die Einheit, in der Cyrano und Christian Militärdienst leisten, zur Belagerung von Arras ab – prak­tisch ein Todeskommando.

Cyrano führt nun den Briefwech­sel zwischen Christian und Roxa­ne, und als dieser verwundet wird, drückt Cyrano dem Sterbenden noch eine letzte innige Liebeserklärung für Roxane in die Hand.

Die herbeigereiste Roxane liest zutiefst erschüttert die Zeilen und geht ins Kloster. Hier besucht sie ihr Vetter Cyrano jeden Samstag. Doch erst als Cyrano tödlich ver­wundet ist, erfährt Roxane, wer die Briefe geschrieben hatte.

Cyrano, der immer zur Stelle ist, wenn es, gilt, mit dem Degen drein­zufahren, ist unfähig, seine Liebe zu zeigen, weil er von Minderwer­tigkeitsgefühlen geplagt wird, die er eben nur durch seine Sprache und sein Draufgängertum zu über­spielen weiß.

Interessant in diesem Zusam­menhang ist auch die letzte Szene: Cyrano stirbt nicht – Wie von Ed­mond Rostand vorgegeben – in den Armen von Roxane. Vielmehr wird das erste Bühnenbild wieder aufge­griffen: Das Leben ist ein Theater. Es dreht sich im Kreis.

Borbecker Nachrichten vom 29.05.1997

Laientheater spielt Cyrano

Die Verskomödie „Cyrano de Bergerac“ führt das „TheaterLaien“ am 23., 26. und 28. Mai jeweils um 19.30 Uhr in der Aula der Geschwister-Scholl-Realschule an der Hülsmannstraße 46 auf.

Das Stück von Edmond Rostand spielt zu Beginn des 17. Jahrhunderts und erzählt die Geschichte des Dichters, Philosophen, Soldaten, Abenteurers und Phantasten Cyrano de Bergerac, des „Helden mit der langen Nase, der geistreichen Sprache, der schneidenden Zunge und der schüchternen Seele“, wie es im Programm heißt. Der Eintritt zu der Vorstellung kostet acht, ermäßigt fünf Mark. Karten gibt es im Vorverkauf bei Blumen Schürmann an der Marktstraße 12, 67 26 97, und an der Abendkasse.

Borbecker Nachrichten vom 22.05.1997

Cyrano ficht in der Aula

Theater-Laien bringen neues Stück auf die Bühne

Nach „Figaros Hochzeit“, „Mord inclusive“ und „Tom Say­wer“ befinden sich in der Aula der Geschwister-Scholl-Real­schule die Proben zur Auffüh­rung eines weiteren theatrali­schen Leckerbissens in der End­phase.

Die neu formierte Schauspiel­truppe „Theater Laien“, von de­nen die meisten Darsteller schon in den oben genannten Inszenie­rungen auf der Bühne glänzten, möchte den Klassiker „Cyrano de Bergerac“ von Edmond Rostand genau 100 Jahre nach der Urauf­führung auf die Bühne bringen. In zeitgemäßen Kostümen und Büh­nenbildern erzählt die tragische Komödie den Lebens- und Lei­densweg des Titelhelden, der als Dichter, Fechter und Reime­drechsler seinem Freund Christi­an hilft, die Gunst der schönen Roxane zu gewinnen, indem er für ihn Liebesbriefe entwirft. Tra­gisch dabei ist jedoch, daß sich Cyrano ebenfalls in Roxane ver­liebt, aber ob seines entstellten Gesichtes – der übergroßen Nase – nicht wagt, seine Gefühle zu of­fenbaren. Intrigen und Kriegswir­ren sowie Nebenbuhlerei und menschliches Versagen gießen Öl auf die Wogen dieser Dreiecksge­schichte. Premiere der pointier­ten und doch sensiblen Inszenie­rung mit einer gelungenen Mi­schung aus Situationskomik, Ro­mantik und Tragik ist am Freitag, 23. Mai, um 19.30 Uhr in der Aula der Geschwister-Scholl-Real­schule.

Weitere Vorführungen sind am Montag, 26. Mai, und Mittwoch, 28. Mai, jeweils um 19.30 Uhr.

Eintrittskarten sind an der Abendkasse sowie im Vorver­kauf im Haus der Blumen Schür­mann, Marktstr. 12, Tel. 67 26 97, erhältlich. Der Eintritt kostet acht, ermäßigt fünf Mark.

Borbecker Nachrichten vom 24.04.1997